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Maxim Emelyanychev & SCO - Schubert: Symphony No. 9 - SWR2

Hören, was man sonst nicht hört Franz Schubert

Beginnen aber wollen wir mit Franz Schubert. Und mit seiner letzten Sinfonie, der „Großen“ in C-Dur. Wer hat dieses Werk nicht schon alles eingespielt – ein Mangel an Aufnahmen besteht da wahrlich nicht. Aber die Deutung, die der junge russische Dirigent Maxim Emelyanychev mit dem Scottish Chamber Orchestra beim Label Linn Records herausgebracht hat, die fördert tatsächlich noch neue Aspekte zutage. Gleich der Anfang ist so, wie ich ihn noch nie gehört habe: Er mutet an wie die Geburt der Sinfonie aus dem Geist des Gesangs. 

Franz Schubert: Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944 5‘46
Und an dieser Stelle endet die Exposition des Kopfsatzes aus Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie. Maxim Emelyanychev und das Scottish Chamber Orchestra lassen sich bei der langsamen Einleitung, die sonst meist als Marsch daherkommt, ganz vom Gesang und vom menschlichen Atem inspirieren. Erst bei der Wiederholung erlangt diese Introduktion den Charakter einer Intrada, und mit Beginn des Allegro-Hauptteils verwandelt sich die Szene abermals, gewinnt das Geschehen buffonesken Charakter. Der 1988 geborene Maxim Emelyanychev, ein Schüler von Gennady Rozhdestvensky, wurde im Westen zunächst als Cembalist bekannt, auch in Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis bei der Einspielung der Mozart-Da Ponte-Trilogie. Der Geist der historisch informierten Aufführungspraxis steht bei Emelyanychevs Schubert zweifellos Pate, mit schlankem Klang und flotten Tempi. Aber das entscheidende Gütesiegel ist, dass man bei seiner Interpretation der Großen C-Dur-Sinfonie hören kann, was man sonst nicht zu hören bekommt. Oft wird dieses Werk eher al fresco musiziert, mit breitem Pinsel. Hier jedoch treten verborgene Gegenstimmen zum Vorschein, kreuzen sich die Rhythmen, kommt es zu Einsprüchen und Entgegnungen. Alles flimmert und wieselt und wimmelt nur so vor Leben. Auch im zweiten Satz, dem „Andante con moto“: 

Franz Schubert: Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944 2. Satz 8‘22 
Es sind die starken und abrupten Kontraste, von denen Franz Schuberts letzte Sinfonie lebt. Vielen Dirigenten ist das unheimlich, weshalb sie die Gegensätze eher einebnen. Nicht so Maxim Emelyanychev und das Scottish Chamber Orchestra, die wir gerade mit dem Beginn des Zweiten Satzes aus der Großen C-Dur-Sinfonie hörten. Hier werden die unterschiedlichen Charaktere und dynamischen Levels bewusst zugespitzt. Mit dem Ergebnis, dass dieses „Andante con moto“ zunächst etwas von einem Scherzo an sich hat, mit scharf punktierter rhythmischer Grundierung, als wolle da einer Tango tanzen. Dann schlägt es in eine sakrale Atmosphäre um und erinnert an eine Antiphon. Und schließlich gewinnt es eine umwerfende Dramatik, mit schmerzhaften Dissonanzen. Maxim Emelyanychev, der mit Beginn dieser Saison die Leitung des Scottish Chamber Orchestra als Principal Conductor übernommen hat, kostet die verschiedenen Sphären genüsslich aus. Er ist sicher kein klassischer Maestro – lieber setzt er auf das kammermusikalische Miteinander. Getreu der Devise: Wir nehmen uns eine große Sinfonie und entdecken sie gemeinsam. Eine Exkursion, die echten Erkenntnisgewinn bringt.

SWR2
03 November 2019